Darf der Hund noch Hund sein?
Teil 225.07.2024 09:07Im ersten Teil habe ich Euch ja bereits beschrieben, wie sehr wir Menschen uns anstrengen den Hund nach unserem Gusto zu formen. Worauf ich allerdings keine Antwort habe, was den Hundehaltern so sehr Angst macht, dass sie den Hunden damit „unterdrücken“ und jegliche Kompetenz absprechen und hindern „natürlich“ zu leben. Erst kürzlich habe ich bei einer Hundetrainerin auf Facebook gelesen, wie wichtig es ist, dass der Hundehalter für den Hund das Denken übernimmt? Wirklich? Also ich habe keine Angst davor, dass sich mein Hund als Hund verhält und ich ihm erlaube, soweit es in unserer Welt möglich ist, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.
Natürlich kann ich den Hund nicht komplett selbstbestimmt führen, aber ich kann vieles machen, damit er es so empfindet. Beginnen wir ganz banal beim Spaziergang. Warum gehen Hunde „spazieren“? Weil sie ihr Revier kontrollieren. Nicht, damit sie ausgepowert sind. Und den täglichen Spaziergang zu einem „Revierkontrollgang“ zu machen, ist ganz leicht. Dazu brauchst Du nichts andres, als 5 bis 10 unterschiedliche Spazierwege, die Du zweitäglich oder täglich wechselst. Dadurch kann der Hund sein „Territorialverhalten“, also die Revierkontrolle ausleben, er hat wechselnde Reize, aber dennoch ein Sicherheitsempfinden, da er die Strecken ja kennt. Und keine Angst, Dein Hund schreddert nicht alle anderen Hunde und Menschen, weil es „sein Territorium“ ist. Ich laufe mit meiner HSH Hündin zum Beispiel in einem großen Gebiet, wo der Einstieg vom Parkplatz her immer gleich ist, es aber unterschiedliche Möglichkeiten zum Abbiegen gibt. In den meisten Fällen lasse ich sie entschieden, welchen Weg sie heute gehen möchte. Ich habe deshalb noch nie Probleme bekommen, dass sie meinen Anweisungen nicht mehr Folge leistet oder auf andere Hunde in „ihrem Revier“ los geht. Nur ab und zu nutze ich ein fremdes Gassigebiet, um „Abenteuer“ mit meinem Hund zu erleben.
Da Hunde Nasentiere sind, lasse ich sie auf den Spaziergängen auch ausgiebig schnüffeln. Sie dürfen erkunden, welches „Beutetier“ (es gibt hier viele Rehe, Hasen, Füchse, …) oder welcher Hund vor ihnen unterwegs war. Ich ziehe sie also nicht ständig weiter oder unterbinde es, was viele Hundehalter machen. Auch dürfen meine Hunde ausführlich markieren inklusive allem dazugehörigem Verhalten wie scharren, brummen, etc. Es sind wichtige Verhaltensweisen, die zum normalen Hundeverhalten gehören und wichtige Bedürfnisse der Hunde decken.
Ach ja, auch das Tempo, in dem wir unterwegs sind, gehört mit dazu. Wir schlendern gemütlich, meine Große, die schon älter ist, gibt das Tempo und die Pausen vor. Es geht mir nicht um Strecke machen, sondern um die Qualität des Spaziergangs. Also darum, dass meine Hunde ihre Bedürfnisse auf dem Spaziergang so gut es geht ausleben dürfen.
Warum empfehle ich diese Art des Spaziergangs? Ganz einfach. Die Selbstwirksamkeit bei Hunden bezieht sich darauf, dass sie Raum und Zeit haben, um eigenständig zu handeln. Und über das ausgiebige Schnüffeln, also erkunden, was in ihrer Abwesenheit alles passiert ist, das Markieren und das anpassen an ihr Tempo, kann ich dem nachkommen. Und ja, ich baue auch kleine gemeinsame Aktivitäten mit ein, wie gemeinsam über Baumstämme klettern, im Bach zu planschen, „jagen“ zu gehen, usw. Schließlich sind die Spaziergänge ja auch dazu gedacht Gemeinsamkeit zu leben, Vertrauen und Sicherheit zu geben, Spaß zu haben. Gezielt trainieren tue ich nicht, denn das ergibt sich automatisch aus den Situationen, die sich beim Spaziergang ergeben. Ihr seht also, es braucht nicht viel, um den Hund Hund sein zu lassen.
Apropos Training. Wenn ich meine Hunde trainiere, dann lege ich großen Wert darauf, dass die Lernsituation so gestaltet ist, dass der Hund sie gut mit meinem Social Support meistern kann. Ich übe weder Druck durch abdrängen, verwalten irgendwelcher menschlich gedachten Räume oder korrigieren aus. Ich gebe dem Hund die Möglichkeit in der Situation mitzudenken, eigene Lösungen zu finden. Denn das sind die Aspekte der Selbstwirksamkeit. Das schafft Resilienz. Und deshalb ist es so wichtig, den Hund einfach Hund sein zu lassen!