Darf der Hund noch Hund sein?

Teil 111.07.2024 08:31

Heutzutage ist der Hund einer Vielzahl von Trainings- bzw. Erziehungsmethoden und Beschäftigungen ausgesetzt, die ihn mehr denn je belasten und die er so aus seiner Natur heraus nicht kennt. Er wird untergeordnet, diszipliniert, für Dinge korrigiert, die seinem Wesen/seiner Persönlichkeit entsprechen, werden Beschäftigungen „aufgedrängt“, die er, könnte er frei entscheiden, nie im Leben machen würde, soll stundenlang spazieren gehen oder aber alleine bleiben usw. usw. Eigentlich sind Hunde Meister in der Anpassung und Kooperation, aber bei dem, was wir Halter ihm abfordern, kommt er an seine Grenzen und kann vieles nicht mehr kompensieren. Die zunehmende Zahl an Hunden mit wenig Selbstregulation und geringer Frustrationstoleranz zeigt es deutlich. Viele Hunde sind den vielen Anforderungen nicht mehr gewachsen und je nach Hund läuft das Fass früher oder später über. Ein für sie „natürliches“ Leben mit einer guten körperlichen Regulation ist dann oft nicht mehr möglich. Der Hund verliert seine innere Balance und zeigt infolgedessen immer mehr Konfliktverhalten und wird so für seinen Menschen zum „Problemhund“.

 

Und nun beginnt die Teufelsspirale, denn i.d.R. bekommt der Hundehalter dann die Diagnose „der Hund sei dominant bzw. zu frei erzogen und kenne weder Regeln noch Grenzen“ und muss in seine untergeordnete Stellung gebracht und Grenzen aufgezeigt bekommen. Zudem sei er nicht ausreichend beschäftigt und muss mehr ausgelastet werden. Und in Sachen auspowern ist das Angebot heutzutage für unsere Familienhunde riesig. Es reicht von Obidience über Agility zu Flyball, geht weiter über Mantrailing, und Trickdance, zu Geruchsunterscheidung und andere Schnüffelaufgaben bis hin zum Zughundesport und noch vielem mehr. Die Vielfältigkeit lässt keine Wünsche für den Halter offen. Und dann darf man die ganzen Methoden zum „kreieren“ des guten Gehorsams nicht vergessen, bei dem sich der Hund stundenlang zusammennehmen soll, sein natürliches Tempo beschleunigen muss, keine Zeit mehr hat für „seine Hobbies“ und von normaler hündischer Kommunikation ist auch nichts mehr übriggeblieben. Denn nur ein leiser, guterzogener Hund, den man nicht hört, ist ein guter Hund!
 

Und unsere Hunde? Was sagen sie dazu?
Vor lauter Beschäftigungsstress, den Menschen überall hinbegleiten, im absoluten Gehorsam stehen, die eigene Natur und Persönlichkeit zu unterdrücken, wissen sie nicht mehr ein noch aus. Und manch ein Hund träumt von der guten alten Zeit, wo er noch als Haus- und Hofhund sein Grundstück bewachen, eigenständige Streifzüge machen und nach Herzenslust Mäuse jagen konnte. Nie im Leben würde er mehrere Stunden Spazierengehen, Fahrradfahren oder gar einen Skooter ziehen, mehrmals in der Woche Training auf dem Hundeplatz absolvieren und am Wochenende auch noch irgendwelche Turniere laufen! So kommt es, dass heutzutage Hunde nicht mehr Auffälligkeiten wegen einer Unterforderung wie früher zeigen, sondern weil sie schlicht und ergreifend Überfordert sind.

 

Genau deshalb führt auch kein Weg daran vorbei, den Hund wieder zurück in seine Balance zu bringen, zu einer entspannten, kommunikativen, respektvollen und friedlichen Hundehaltung. Weg von all den komplizierten, realitätsfernen Trainingsmethoden, die ihn von seiner natürlichen Persönlichkeit trennen und ihn über zu viele Beschäftigungskonzepte beschleunigen. Wie das aussehen kann, wenn der Hund ein Leben führt, das sich mehr am natürlichen Leben selbstbestimmter Hunde orientiert, erfahrt ihr nächste Woche im zweiten Teil.